6. Oktober 2020 · Versicherungsrecht · Zivilrecht

Betriebsschließungsversicherung (Corona/COVID 19)

Mit Urteil vom 01.10.2020 hat das LG München I  (Az. 12 O 5895/20) entschieden, dass ein Versicherer einer Betriebsschließungsversicherung aufgrund einer coronabedingter Schließung des Lokals Leistungen in Millionenhöhe an einen Gastwirt zu leisten hat .

Ausgangspunkt

Zu der Frage, ob Versicherer für die Betriebsschließungen von Gaststätten und Hotels aus sogenannen Betriebsschließungsversicherungen leisten müssen, sind seit geraumer Zeit vielzählige Gerichtsverfahren rechtshängig. Verschiedene Versicherer haben beantragte Leistungen im Vorhinein unter Verweis auf die jeweiligen Versicherungsbedingungen abgelehnt. Auf Betreiben der Bayerischen Staatsregierung wurde im April 2020 mit verschiedenen Versicherern eine Kulanzlösung entwickelt, nach welcher die Versicherer ihren Kunden zur schnellen und unkomplizierten Unterstützung „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“ und teilweise gegen Verzicht auf weitergehende Ansprüche im Falle einer Betriebsschließung eine Leistung regelmäßig in Höhe von 15% der zu erwartenden Versicherungsleistungen zahlten. Hierbei wurde berücksichtig, dass die Betriebsschließungsversicherung nur insoweit finanzielle Ausfälle deckt, wie diese nicht durch öffentlich-rechtliche Ansprüche anderweitig ausgeglichen werden (können). Es wurde insoweit berücksichtigt, dass durch Corona-Soforthilfe, Kurzarbeitergeld etc. ca. 70% der Betriebsausfallkosten gedeckt seien, sodass Versicherungsnehmer und Versicherer, sich das Risiko und die Dauer eines Prozesses hinsichtlich der verbleibenden 30% teilen.

Während das OLG Hamm mit Hinweisbeschluss vom 15.07.2020 (Az. 20 W 21/20) im Rahmen eines Eilverfahrens noch entschieden hatte, dass der bloße Verweis auf §§ 6 und 7 IfSG im Rahmen der Versicherungsbedingungen allein keine dynamische Verweisung begründen könne und überdies auch schon kein Verfügungsanspruch gegeben sei, entscheid nun das LG München I (Az. 12 O 5895/20) zugunsten einesVersicherungsnehmers.

Anspruch auf Versicherungsleistungen

Der Kläger hat sich der Kulanzlösung nicht angeschlossen, sondern den Versicherer zunächst außergerichtlich zur (vertraglichen) Leistung aufgefordert. Nach Ablehnung durch den Versicherer verfolgte er seine behaupteten Ansprüche gerichtlich weiter.

Das Gericht teilte den Einwänden des Versicherers im Wesentlichen eine Absage.

Rechtmäßigkeit der öffentlich-rechtlichen Maßnahme

Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die Rechtsmäßigkeit der Betriebsschließung von Gaststätten und Hotelbetrieben durch Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege keine Auswirkungen auf den versicherungsrechtlichen Anspruch habe. Der Wirt müsse nicht zuerst gegen die staatlich angeordnete Betriebsschließung wehren. Ebenfalls ist nach Auffassung des Gerichts keine Anspruchsvoraussetzung, dass das Coronaviraus tatsächlich im Betrieb aufgetreten sein müsse. Es komme nach den der Entscheidung zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen nicht darauf an, ob die Betriebsschließung auf einer individuellen infektionsschutzrechtlichen Maßnahme des zuständigen Gesundsamtes oder auf einer Allgemeinverfügung der Staatsregierung beruhe.

Entscheidende Klausel

Die Klausel, die die Leistungspflicht des Versicherers definieren (und auch begrenzen) sollte, sah das Gericht im Einzelfall als intransparant und somit unwirksam an. Eine Klausel, deren Tragweite nur durch den Vergleich mit einer gesetzlichen Vorschrift, welche  zudem in den letzten Jahren zahlreichen Änderungen unterworfen war, erkennbar sei, die aber dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer dieser Versicherung nicht bekannt sei, sei intransparant.

Leistungsmindernde staatliche Hilfen?

Im Hinblick auf die Höhe der Versicherungsleistungen entschied das Gericht im Gegensatz zu den Erwägungen, welche der in Zusammenarbeit der Versicherer und der Staatsregierung entwickelte Kulanzlösung zugrunde lagen, dass weder Kurzarbeitergeld noch staatliche Corona-Hilfe leistungsmindernd zu berücksichtigen seien. Abgesehen davon, dass es den Vortrag der Beklagten für nicht ausreichend substantiiert hielt, war das Gericht der Auffassung, dass es sich bei den Corona-Soforthilfen nocht um Schaden ausgleichende, sondern vielmehr um Konjunkturmaßnahmen handele.

Ausblick

Es sind aktuell mehrere Verfahren gegen verschiedene Versicherer rechtshängig, sodass weitere Entscheidungen insoweit abzuwarten bleiben. Auch dürfte abzuwarten bleiben, ob die Entscheidung des LG München I in Rechtskraft erwächst. Die Einlegung eines Rechtsmittels will der Verischerer nach Prüfung der ausfomulierten Entscheidungsgründe abwägen.

Eine pauschale Leistungspflicht aller Versicherer wegen coronabedingter Betriebsschließungen ist mit der Entscheidung des LG München I gerade nicht verbunden.

Es kommt bei der Anspruchspüfung auf die individuellen Versicherungsbedingungen an. Es ist im Einzelfall zu prüfen, ob die betreffende Klausel die Versicherungsleistungen hinsichtlich des (vergleichsweise neuartigen) COVID-Erregers wirksam ausschließt bzw. eine starre Verweisung gegeben ist oder ob im Rahmen der Versicherungsbedingungen eine intransparente Klausel bzw.eine dynamische Verweisung auf den Krankheiten-Katalog des IfSG besteht. In den allermeisten Fällen dürfte eine nicht eindeutige, mithin auslegungsfähige Kombination gegeben sein. Nach alledem ist die Leistungsfreiheit für Versicherer – abhängig von den konkreten Versicherungsbedingungen – mit der gegenständlichen Entscheidung nicht ausgeschlossen.

Sollte der Versicherer im Einzelfall aufgrund der Versicherungsbedingungen leistungsfrei sein, dürfte sich im Anschluss zusätzlich die Frage nach einem möglichen Beratungsverschulden, insbesondere von Versicherungsmaklern stellen. Es könnte ein Beratungsverschulden gegeben sein. Sofern kurz vor schlussendlichen Ausbruch der Pandemie eine Betriebsschließungsversicherung im Hinblick auf drohende coronabedingte Betriebsschließungen abgeschlossen wurde und der Corona-Virus von diesem Versicherungsvertrag gerade ausgenommen ist, könnte eine mangelbehaftete Beratungsleistung vorliegen, da zumindest bis Anfang des Jahres am Markt noch Betriebsschließungsversicherungen verfügbar waren, welche eine dynamische Verweisung auf den Krankheiten-Katalog des IfSG besaßen.

 

Wir werden Sie an dieser Stelle über weitere aktuellen Entwicklungen informiert halten.

Für darüber hinausgehende Fragen stehen Ihnen Herr RA René Hempel sowie Herr RA Daniel Schulz gerne zur Verfügung.

(DS)