28. August 2019 · Haftungsrecht · Verkehrsrecht · Zivilrecht

Zum Umfang von Streupflichten auf einem (Kunden-)Parkplatz

Verkehrssicherungspflichtige müssen im Einzelfall auf Parkplätzen neben den Fahrspuren nicht auch die Parkbuchten räumen und streuen.


Mit Urteil vom 02.07.2019 (Az. VI ZR 184/18) befasste sich der BGH mit dem Umfang der Streupflicht im Rahmen der Verkehrssicherungspflcihten auf dem Parkplatz eines Lebensmittelmarktes.

 

Was ist passiert?

Die Beklagte zu 1 betreibt einen Lebensmittelmarkt mit angeschlossenem Kundenparkplatz, welcher jedoch zum Teil auch von Anwohnern über Nach genutzt wird. Die Beklagte zu 2 wurde von der Beklagten zu 1 mit der Wahrnehmung der Verkehrssicherungspflichten, insbesondere des Winterdienstes, betraut.

Die Klägerin machte geltend, den Lebensmittelmarkt der Beklagten zu 1 im Dezember 2013 bei Minusgraden und allgemeiner Glätte besucht und hierfür ihr Fahrzeug gegen 08:15 Uhr in einer Parkbucht auf dem zugehörigen Parkplatz nahe des Eingangs abgestellt zu haben. Im Bodenbelag des Parkplatzes habe sich in der Nähe ihres Pkw eine Vertiefung befunden, in der sich Wasser gesammelt habe, welches über Nacht gefroren sei. Auf der so entstandenen Eisfläche sei sie nach dem Aussteigen aus ihrem Fahrzeug ausgerutscht und dabei auf den Asphalt gestürzt.

Die Klägerin stützte ihre geltend gemachten Ansprüche auf eine behauptete Verletzung der Verkehrssicherungspflichten durch die Beklagten. Die Beklagten hätten nach Auffassung der Klägerin auch in den Parkbuchten zwischen den Fahrzeugen entsprechend streuen müssen, was unstreitig unterblieb.

 

Vorinstanzen:

Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab, da eine Streupflicht der Beklagten für den Bereich der Unfallstelle nicht bestanden habe. Denn auch bei allgemeiner Glättebildung bestehe die Streupflicht nur im Rahmen des für den Verpflichteten Zumutbaren. Verkehrsteilnehmer müssten sich grundsätzlich auf die gegebenen Verhältnisse einstellen.

 

BGH-Entscheidung:

Auch die Revision der Klägerin blieb letztlich erfolglos. Der BGH festigte eingangs die Rechtsprechung, dass Grundvoraussetzung für die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht wegen Verstoßes gegen die Räum- und Streupflichten entweder das Vorliegen einer allgemeinen Glätte oder erkennbare Anhaltspunkte für eine ernsthaft drohende Gefahr aufgrund vereinzelter Glättestellen ist.

Weiter führte der BGH aus, dass auch bei allgemeiner Glättebildung keine uneingeschränkte Räum- und Streupflicht bestehe. Diese Grundsätze sollen unabhängig davon gelten, ob die Streupflicht einen öffentlichen oder privaten Parkplatz betreffe oder ob es sich um einen Kundenparkplatz handele oder nicht.

Die Streupflicht als Teil der Verkehrssicherungspflicht soll nur wirkliche Gefahren beseitigen, nicht aber bloßen Unannehmlichkeiten vorbeugen.

Bei Anwendung dieser Maßstäbe seien die Beklagten im zu entscheidenden Fall daher nicht verpflichtet gewesen, die Sturzstelle im Bereich der markierten Stellflächen zu streuen. Der Grad der von Glättebildung im Bereich der markierten Stellflächen ausgehenden Gefahr sei regelmäßig als eher gering einzustufen, weil die Wageninsassen ihn nur beim Ein- und Aussteigen betreten müssten und dabei am Fahrzeug Halt finden könnten. Deshalb sei es grundsätzlich nicht erforderlich, dass ein Parkplatz so bestreut werde, dass bereits beim Aussteigen aus jedem Fahrzeug abgestumpfter Boden betreten werden könne. Die Gefahr solle auch nicht durch den Umstand erhöht sein, dass der gegenständliche Parkplatz (auch) Kunden eines Lebensmittelmarktes dienen sollte.

Die Betreiber eines Lebensmittelmarktes sollten regelmäßig zwar ihren Kunden nicht nur einen möglichst gefahrlosen Zugang verschaffen, sondern auch deren möglichst sicheres Be- und Entladen zu ermöglichen haben. Hierzu sei das Räumen und Streuen der Parkstellflächen nicht erforderlich. Es sei den Kunden zumutbar, ihr Fahrzeug bei winterlichen Wetterverhältnissen in diesem Bereich so abzustellen, dass durch Räumen und Streuen der Fahrfläche ein hinreichend gefahrloses Verstauen der Einkäufe im Heck sichergestellt werden könne.

Angesichts der bei zumutbarer Eigenvorsorge der Kunden geringen vorhersehbaren Sturzgefahr im Bereich der markierten Stellflächen könne daher von Verkehrssicherungspflichtigen nicht erwartet werden, diesen Bereich bei Glättebildung ständig geräumt und gestreut zu halten. Dies gelte insbesondere bei – wie im entschiedenen Fall – großen Parkflächen, auf denen ein ständiger Fahrzeugwechsel stattfinde, wobei zwischen den parkenden Fahrzeugen ein maschinelles Streuen nicht möglich sei. Eine kontinuierliche Kontrolle und gegebenenfalls händisches Streuen sei den Verpflichteten aufgrund des damit verbundenen hohen Aufwandes nicht zumutbar.

Im konkreten Fall waren die Beklagten nach Ansicht des Senats auch nicht verpflichtet, bei allgemeiner Glättebildung einmalig vor Eröffnung des Marktes den Bereich der markierten Stellflächen zu streuen. Ob eine solche Pflicht grundsätzlich bestehe, richte sich nach den konkreten örtlichen Gegebenheiten und den sonstigen Umständen. Im konkreten Fall wurde der Kundenparkplatz auch von Anwohnern genutzt, welche ihre Fahrzeuge insbesondere über Nacht dort abstellten, sodass bei Marktöffnung nicht gewährleistet gewesen sei, dass die Parkflächen frei waren und mit zumutbaren Aufwand hätten gestreut werden können. Die Beklagte zu 1 sei darüber hinaus zur Erfüllung ihrer Verkehrssicherungspflichten auch nicht gehalten gewesen, durch eine nächtliche Sperrung des Parkplatzes und Abschleppen etwaiger verbliebener Fahrzeuge ein maschinelles Streuen der Parkflächen zu ermöglichen. Nach Ansicht des BGH würde dies den Umfang der Verkehrssicherungspflicht überspannen.

Die Erwartung, bei winterlichen Witterungsverhältnissen ordnungsgemäß geräumte oder gestreute Wege vorzufinden, enthebt den Fußgänger nicht der eigenen Verpflichtung, sorgfältiger als sonst seines Weges zu gehen.

Verkehrssicherungspflichtige dürfen davon ausgehen, dass sich Kunden beim Ein- und Aussteigen aus ihren Fahrzeugen durch besondere Vorsicht auf winterliche Wetter- und Sichtverhältnisse einstellen und bei Unsicherheit über die Bodenbeschaffenheit falls notwendig am Fahrzeug festhalten würden.

 


Für weitergehende Fragen oder Informationen wenden Sie sich gerne an Herrn RA Daniel Schulz und Herr RA Dr. Georg Graml.

(DS)